Treckerrennen und Terrorzwerge
© Silke Herbst 2005
Hallo, wie viele Menschen bin auch ich stolze Patentante eines kleinen Terrorzwerges. Er heißt Enno und ist mittlerweile vier Jahre alt. Eigentlich ist er ganz lieb, aber gelegentlich übertreibt er es ein wenig. Zugegeben, ich bin nicht immer unschuldig daran. Zusammen treiben wir meine Freundin wohl in den Wahnsinn. Das Schöne an Terrorzwergen ist, wenn sie ihren Wutausbruch haben, drückt man sie den Eltern einfach wieder in den Arm und verschwindet. Leider funktioniert es nicht immer und während Enno mit seiner Mutter diskutiert, verschwinde ich langsam hinter einer Zeitung, die ich mir vorher in weiser Voraussicht bei Seite gelegt habe. Meistens kann ich mir das Lachen kaum verkneifen.
Mit Vorliebe sehen wir uns den Umzug zum Bockhorner Markt an. Er hat zwei entscheidende Vorteile. Erstens gibt es dort jede Menge Trecker und zweitens gibt es auch noch einen Haufen Süßigkeiten. Allerdings ist Enno mehr fasziniert von den Treckern, als von dem Umzug.
Eines Tages hat Enno seine Leidenschaft endgültig für Rasenaufsitzmäher entdeckt. Mehr oder weniger freiwillig habe ich seine Fahrkünste schon testen können.
Eines Abends saßen mein Mann und ich gemütlich bei meiner Freundin, als Ennos Vater uns das erste Mal von seinen Treckerrennen erzählte. Um uns das Gefühl näher zu demonstrieren, gingen wir in den Garten und Ennos Vater startete seinen Renntrecker. Nachdem alle ihre Runde gedreht hatten, war ich nun an der Reihe. Argwöhnisch begutachtete ich den Aufsitzmäher. Seine Lampen erschienen mir wie Augen, die boshaft zu mir aufsahen. Höhnisch starrte mich dieser Trecker an, während sich sein Licht in meine Pupille bohrte.
„Steig nur auf“, schien er mir zuzuflüstern, „wir werden die Tannen schon erwischen oder fahren wir besser gleich gegen den Zaun?“
Ich schluckte. Mit weichen Knien bewegte ich mich langsam auf ihn zu. Im Geiste sah ich mich schon hilflos über den Acker fegen. Hämisch fing der Trecker an zu lachen. Dann hörte ich hinter mir ein erlösendes Schreien.
„Ich will fahren“, rief Enno und hüpfte an mir aufgeregt auf und ab.
Das Lachen des Treckers in meinen Ohren verstummte. Ich war erleichtert, ich musste nicht alleine auf dieses Ungetüm. Allerdings hatte ich leichte Zweifel, ob ich mit Enno als Fahrer besser aufgehoben war. Ich warf noch einmal einen Blick auf den Trecker. Er machte wieder einen ganz normalen Eindruck. Nichts erinnerte mehr daran, dass er mich eben noch so verspottet hatte. Mutig stieg ich auf. Vor mir nahm ein freudestrahlender Enno platz. Sein Vater legte den ersten Gang ein und ab ging die Post. Okay, hätten wir Post dabei gehabt, wäre diese wohl nie angekommen. Nachdem wir den Wäscheständer das x-te mal umrundet hatten, fragte ich mich, ob es besser gewesen wäre, wenn ich das Mineralwasser vorher nicht getrunken hätte. Spielte auch nun keine Rolle mehr, auf seinem ständigen Weg nach oben, schluckte ich es jedes Mal energisch wieder herunter. Meistens passte es genau mit dem Moment zusammen, wo ich den Kopf einziehen musste, weil wir einen tiefer hängenden Ast streiften. Während ich gegen meine Übelkeit kämpfte, hatte ich wieder den Eindruck aus dem Motorengeräusch ein böses Lachen zu hören. Ich betete das erste und letzte Mal um höhere Benzinpreise und ein allgemeines Kreisfahrverbot für Aufsitzmäher. Aber wer, außer mir, war auch schon so bescheuert und fuhr mit einem Vierjährigen am Steuer auf einem Rasenmäher? Endlich kam mir die zündende Idee. Warum schaltete ich dieses Untier von Mäher nicht einfach aus? Krampfhaft versuchte ich diese Höllenfahrt zu beenden. Es wäre schlau gewesen, mir die Bedienung des Treckers vorher erklären zu lassen. Stattdessen habe ich wohl voll auf die Fahrtauglichkeit eines vierjährigen Kindes vertraut. Dazu fiel mir nur noch eine Lösung ein: „Hilfe!!! Wie halte ich das verfluchte Ding an?“
„Du wirst doch wohl wissen, wie man einen Rasentrecker bedient“, ertönte es vom Rand, während ein vor Freude quiekender Enno mit mir in die nächste Runde fuhr. Mit einer Engelsgeduld versuchte der Mann meiner Freundin mir zu erklären, wie ich dieses Ungetüm stoppen konnte. Leider konnte ich immer nur Bruchteile verstehen und auch nur, wenn wir an ihnen vorbeifuhren. Unkontrolliert drückte ich sämtliche Knöpfe und Hebel, was den Nachteil hatte, dass wir immer schneller wurden. Von der Seite hörte ich Gelächter. Irgendwie erweckte sich bei mir der Eindruck, dass drei Erwachsene am Rand standen und meine Situation wohl urkomisch fanden. Acht Runden weiter hatte ich es endlich geschafft, wir standen. Erleichtert stieg ich ab. Eigentlich war ich mir ziemlich sicher, ich würde nie wieder Trecker fahren, aber nie ist ja so ein Wort für sich.
Dann kam Himmelfahrt, der große Tag des ersten Rennen im Jahr. Mein Mann und ich hatten dümmlicherweise versprochen uns dieses Rennen anzusehen. Gemeinsam fuhren wir nach Aurich, wo das Spektakel stattfinden sollte. Das Wetter war ekelhaft. Langsam nieselte es sich ein, als wir Aurich erreichten. Auf einer Wiese startete eine riesige Himmelfahrtsparty. Trotz des schlechten Wetters war der Platz gut besucht und auch die Stimmung war bombastisch. Im Menschengewühl suchten wir nach meiner Freundin und ihrem Mann. Schließlich fanden wir sie im Fahrerlager. Ein quietschvergnügter Enno kam auf uns zugerannt. Fröhlich zupfte er an meinem Ärmel: „Ich will eine Bratwurst!“
Lachend gab sein Vater ihm Geld: „Schnapp dir deine Patentante. Vielleicht geht sie mit dir.“
Erwartungsvoll sah Enno mich mit seinen großen Augen an. Wer konnte diesem Blick schon widerstehen. Ich nicht. Also zog ich mit ihm los, wieder zurück quer durch die Menschenmasse. Nach einer heißen Diskussion am Stand, begaben wir uns auf den Rückweg, als die vernichtende Nachricht durch die Lautsprecher dröhnte. Ennos Vater wurde für den nächsten Durchgang aufgerufen.
Erwartungsvoll fing Enno an zu hüpfen, während seine klein geschnittene Wurst sich in sämtliche Richtungen verteilte: „Papa fährt, Papa fährt. Enno will auch einen Pokal.“
Mit einem Satz rannte er los und verschwand im Gewühl. Nach einem kurzen Schweißausbruch erfaste ich die Situation und spurtete hinter ihm her. Verzweifelt suchte ich nach dem Dreikäsehoch, was sich zwischen einen Haufen Erwachsener am Bierstand mehr als schwierig erwies. Die meisten von ihnen waren schon leicht angetrunken und nicht sehr erfreut, wenn ich sie in meiner Panik versehentlich anrempelte. Keine Spur von Enno. Langsam setzte ich zum nächsten Schweißausbruch an, was zusammen mit dem kalten Nieselregen ein ziemlich unangenehmes Gefühl war. Von der Strecke her drang das Motorengeräusch der Trecker zu mir. Das Rennen war also schon gestartet und dann sah ich Enno, wie er sich schnurstraks auf einen zur Zeit herrenlosen Trecker in der Boxengasse zu bewegte. Eine dunkle Ahnung stieg in mir auf. Während ich mit voller Kraft auf Enno zurannte, versuchte ich mir vorzustellen, was meine Freundin mit mir machen würde, wenn das einträte, was ich jetzt gerade dachte. Mein größter Albtraum sollte in Erfüllung gehen. Ich sah, wie Enno auf den Trecker stieg und für mich war es wohl Zeit für einen neuen Adrenalinstoß. Nur noch wenige Meter trennten mich von ihm. Dümmlicherweise hatte der Besitzer sein Ungetüm wohl laufen lassen, was mich nicht unbedingt beruhigte. Langsam rollte Enno mit dem Trecker Richtung Rennpiste. Verdammt noch mal, heute war doch gar kein Zwergenrennen. Sah denn niemand den kleinen Wurm. Es half kein Schreien und Rufen. Niemand schien mein verzweifeltes Wortgestammel zu hören. Also konnte ich nur noch sprinten. Endlich hatte ich den Trecker erreicht und sprang hinten auf, als mich das nächste Problem überfiel. Die Angst vor dem Rasentrecker. Noch gut hatte ich meine letzte Fahrt in Erinnerung. Fast Bewegungsunfähig krallte ich mich hinten am Sitz fest.
„Du musst die Fahrt stoppen“, sagte mir die Stimme meines Verstandes.
„Bewege dich bloß nicht. Sonst fällst du herunter“, konterte mein Bauch.
„Halt den Trecker endlich an, wir haben gleich die Rennstrecke erreicht“, warnte mein Verstand und spielte meinem Gehirn die schlimmsten Unfallbilder ein.
Es reichte, ich musste meine Angst unbedingt überwinden. Todesmutig kletterte ich nach vorne. Wir hatten das Ende der Boxengasse fast erreicht und von links kamen auch schon die sich im Rennen befindlichen Trecker aus der ersten Runde. Fieberhaft überlegte ich, wie ich das Ding ausstellen konnte. Meine grauen Zellen arbeiteten auf Hochtouren. Nur noch weniger Meter und wir würden mit den anderen zusammenstoßen. Dann fand ich endlich den entscheidenden Knopf. Mit einem Ruck blieben wir stehen. Schnell riss ich Enno vom Trecker und zog ihn nach hinten, während die anderen mit einem kleinen Ausweichmanöver unbeschadet in die nächste Runde fuhren. Ich atmete auf. Der Trecker, Enno und ich hatten diesen kleinen Ausflug ohne Schaden überstanden. Zwar lag Enno bockig auf dem Boden und heulte, weil ich ihn vom Trecker gezogen hatte, aber damit konnte ich gut leben. Mittlerweile war auch der Besitzer des Treckers zurückgekehrt. Gott sei Dank nahm er die Angelegenheit nicht so ernst und räumte ein, dass er einen Teil mit schuldig war. So sind wir noch einmal gut davon gekommen. Aber meiner Freundin erzähle ich diese Geschichte lieber nicht.